Nach Wochen der Debatte um weitere Entlastungen für die von der allgemeinen Inflation und den enormen Energiepreisen gebeutelten Bürger hat sich die Bundesregierung auf ihr drittes und bisher bei weitem größtes Entlastungspaket geeinigt. Das Paket soll ein Volumen von rund 65 Milliarden Euro haben, wovon allerdings ein Gutteil auf Maßnahmen am Strommarkt entfällt, die nicht aus dem öffentlichen Haushalt finanziert werden. Im Paket sind neben steuerlichen Maßnahmen auch Einmalzahlungen und höhere Sozialleistungen vorgesehen:
Kindergeld: Das Kindergeld wird zum 1. Januar 2023 über das verfassungsrechtlich erforderliche Maß hinaus erhöht. Vorgesehen war zunächst nur eine Erhöhung für das erste und zweite Kind um 18 Euro monatlich von 219 Euro auf 237 Euro. Nach Kritik an dem Paket hat die Koalition nachgelegt und eine Erhöhung auch für das dritte Kind angekündigt. Hier wird der Betrag von 225 Euro um 12 Euro auf ebenfalls 237 Euro angehoben.
Kinderzuschlag: Wenn das Einkommen nicht für die ganze Familie reicht, können Eltern auf Antrag zusätzlich zum Kindergeld den Kinderzuschlag erhalten. Der Höchstbetrag des Kinderzuschlages wurde zum 1. Juli 2022 auf 229 Euro monatlich je Kind erhöht und soll nun ab dem 1. Januar. 2023 nochmals erhöht werden auf dann 250 Euro monatlich. Das gilt bis zur Einführung der Kindergrundsicherung.
Kalte Progression: Wie in den Vorjahren werden zum 1. Januar 2023 die Tarifeckwerte im Einkommenssteuertarif angepasst, um eine Steuererhöhung aufgrund der Inflation zu verhindern ("Kalte Progression"). Die konkreten Werte für die Anpassung werden festgelegt, wenn im Herbst der Progressions- und Existenzminimumbericht vorliegt.
Energiepreispauschale: Nun erhalten auch Rentner eine Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro. Die Energiepreispauschale wird von der Deutschen Rentenversicherung zum 1. Dezember 2022 ausgezahlt und ist einkommensteuerpflichtig. Der Bund will eine entsprechende Einmalzahlung auch für die Pensionäre und andere Versorgungsempfänger des Bundes leisten. Es soll dabei sichergestellt werden, dass keine Doppelzahlung erfolgt. Ob sich diese Aussage nur auf die Zahlung durch die Rentenversicherung und den Bund bezieht, oder, was wahrscheinlicher ist, auch die Energiepreispauschale für Erwerbstätige umfasst, auf die Rentner mit zusätzlichen Erwerbseinkünften schon jetzt Anspruch haben, geht aus dem Beschluss der Regierungskoalition noch nicht hervor.
Studenten: Nach dem Heizkostenzuschuss für BäföG-Empfänger sollen nun alle Studenten und Fachschüler zusätzlich eine Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro erhalten. Der Bund will mit den Ländern beraten, wie die Auszahlung schnell und unbürokratisch erfolgen kann. Im Gegensatz zur Energiepreispauschale ist bei dieser Einmalzahlung bisher nicht von einer Steuerpflicht die Rede, was auch der Grund dafür sein dürfte, dass die Zahlung niedriger ausfällt als die Energiepreispauschale für Erwerbstätige und Rentner.
Home Office-Pauschale: Die bisher bis Ende 2022 befristete Home Office Pauschale wird entfristet. Damit ist pro Arbeitstag im Home Office ein Werbungskostenabzug von 5 Euro möglich, bisher maximal aber 600 Euro im Jahr. Im Konsenspapier der Koalition ist auch von einer Verbesserung der Pauschale die Rede, was wohl auf eine Anhebung des Jahreshöchstbetrags hinausläuft.
Gastronomie: Die Absenkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie auf 7 % wird verlängert, um die Gastronomiebranche zu entlasten und die Inflation nicht weiter zu befeuern. Eine solche Verlängerung haben der ehemalige und der aktuelle Bundesfinanzminister schon vor Monaten ins Gespräch gebracht.
Umsatzsteuer auf Gas: Als Ausgleich für die neue Gasbeschaffungsumlage wird zeitgleich mit deren Start am 1. Oktober 2022 die Umsatzsteuer auf den gesamten Gasverbrauch reduziert. Bis Ende März 2024 wird für den Gasverbrauch statt des normalen Steuersatzes von 19 % der ermäßigte Steuersatz von 7 % gelten. Diese Maßnahme hatte die Regierung schon vor einigen Wochen angekündigt, doch weiterhin ist unklar, ob und inwieweit auch die Bezieher von aus Gas erzeugter Fernwärme von der Umsatzsteuersenkung profitieren können.
Midi-Jobs: Schon jetzt ist gesetzlich geregelt, dass die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich (Midi-Job) zum 1. Oktober 2022 von 1.300 Euro auf 1.600 Euro angehoben wird. Diese Höchstgrenze soll ab dem 1. Januar 2023 weiter angehoben werden auf dann 2.000 Euro. Durch die geringeren Beiträge für ihre Sozialversicherung werden die Arbeitnehmer in diesem Lohnbereich so um rund 1,3 Mrd. Euro jährlich entlastet.
Kurzarbeitergeld: Nach dem Beschluss der Koalition sollen die Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld über den 30. September 2022 hinaus verlängert werden. Da einige der Corona-bedingten Sonderregelungen bereits zum 30. Juni 2022 ausgelaufen sind, gilt die Verlängerung wohl auch weiterhin nur für die reduzierten Zugangsvoraussetzungen zum Kurzarbeitergeld.
Tarifpolitik: Die Bundesregierung diskutiert im Rahmen der "Konzertierten Aktion" gemeinsam mit den Sozialpartnern, wie mit den realen Einkommensverlusten der Arbeitnehmer umgegangen werden kann. Der Bund ist bereit, bei zusätzlichen Zahlungen der Unternehmen an ihre Beschäftigten einen Betrag von bis zu 3.000 Euro von der Steuer und den Sozialversicherungsabgaben zu befreien. Dies ist bisher jedoch nur eine Ankündigung - konkrete Regelungen gibt es dazu noch nicht.
Unternehmenshilfen: Es wird ein Programm für energieintensive Unternehmen aufgelegt, die die Steigerung ihrer Energiekosten nicht weitergeben können. Zudem sollen Unternehmen bei Investitionen in Effizienz- und Substitutionsmaßnahmen unterstützt werden. Außerdem werden die bestehenden Hilfsprogramme für Unternehmen bis zum 31.Dezember 2022 verlängert. Dazu gehören vor allem das KfW-Sonderprogramm Ukraine, Belarus, Russland (UBR) mit zinsgünstigen Krediten und die bereits während der Corona-Pandemie eingeführten Erweiterungen der Bund-Länder-Bürgschaftsprogramme zur kurzfristigen Sicherstellung von Liquidität sowie das Energiekostendämpfungsprogramm zur Entlastung von besonders energie- und handelsintensiven Unternehmen.
Um mehr Unternehmen zu erreichen und den Zugang zu erleichtern, wird beim KfW-Sonderprogramm die Haftungsfreistellung verbessert. Das Energiekostendämpfungsprogramm soll für weitere Unternehmen, die nicht auf der KUEBLL-Liste stehen, Unterstützung gewähren. Weiterhin will die Bundesregierung prüfen, inwieweit zukunftsfähige Unternehmen stabilisiert werden können, die aufgrund der Gasmangellage und nicht tragfähiger Energiepreise temporär ihre Produktion einstellen müssen.
Um die kommunalen und sozialen Wohnungsunternehmen bei steigenden Energiekosten zu unterstützen, wird die befristete Förderung von Betriebsmitteln im KfW-Investitionskredit Kommunale und Soziale Unternehmen bis zum 31. Dezember 2023 verlängert. Im Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen vorhandene Restmittel werden genutzt, um gezielte Hilfen für Kultureinrichtungen zur Verfügung zu stellen.
Mindestbesteuerung: Die Bundesregierung will die Umsetzung der international vereinbarten globalen Mindestbesteuerung bereits jetzt national beginnen. Sie soll langfristig zu Mehreinnahmen in Milliardenhöhe führen und damit die Entlastungen teilweise gegenfinanzieren.
CO2-Abgabe: Um die Energiekosten nicht weiter in die Höhe zu treiben, soll die Anfang 2023 anstehende Erhöhung der CO2-Abgabe um ein Jahr verschoben werden. Die CO2-Abgabe für fossile Brennstoffe wie Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas würde regulär zum 1. Januar 2023 um fünf Euro pro Tonne steigen.
Strommarkt: Eine Strompreisbremse soll Bürger sowie kleine und mittelständische Unternehmen mit Versorgertarif entlasten. Sie sollen eine Basisversorgung zu billigeren Preisen nutzen können. Details dazu muss die Bundesregierung noch ausarbeiten. Energieunternehmen, die Strom aus Kohle, Atom oder erneuerbaren Quellen zu gleichbleibend geringen Produktionskosten herstellen, erzielen derzeit sehr hohe Gewinne. Um die Strompreisbremse zu finanzieren, sollen daher diese Gewinne teilweise abgeschöpft werden. Hier gibt es bereits einen Konsens auf EU-Ebene, der alle Mitgliedsstaaten zu einer entsprechenden Regelung verpflichten soll.
Bundesweites Ticket: Das 9 Euro-Ticket für die Monate Juni bis September war ein großer Erfolg. Daher soll ein bundesweites Nahverkehrsticket eingeführt werden. Die Verkehrsminister von Bund und Ländern sollen dazu zeitnah ein gemeinsames Konzept für ein bundesweit nutzbares, digital buchbares Abo-Ticket erarbeiten. Da für das Ticket deutlich weniger Mittel zur Verfügung stehen als für das 9 Euro-Ticket, peilt die Koalition einen Preiskorridor von 49 bis 69 Euro pro Monat an.
Wohngeld: Zum 1. Januar 2023 kommt die größte Wohngeldreform in der deutschen Geschichte. Mit dieser sollen bis zu zwei Millionen Bürger Anspruch auf Wohngeld haben, viele davon erstmalig. Außerdem soll das Wohngeld künftig dauerhaft eine Klima- und eine Heizkostenkomponente enthalten, um die steigenden Energiepreise stärker abzufedern. Darüber hinaus soll als kurzfristige Maßnahme vor der Reform für die Heizperiode September 2022 bis Dezember 2022 einmalig ein Heizkostenzuschuss II an die Wohngeldempfänger gezahlt werden. Er beträgt einmalig 415 Euro bei einer Person (540 Euro für zwei Personen, für jede weitere Person zusätzlich 100 Euro).
In ihrem Konsenspapier zum Entlastungspaket haben die Koalitionspartner noch einige weitere geplante Regelungen aufgeführt. Dabei handelt es sich aber um Maßnahmen, die bereits länger feststehen, weil sie im Koalitionsvertrag vereinbart waren oder durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zwingend notwendig sind.
Das betrifft beispielsweise die Einführung eines Bürgergelds von rund 500 Euro monatlich anstelle von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld ab dem kommenden Jahr oder die Vorziehung der vollen Abziehbarkeit für Rentenversicherungsbeiträge auf 2023. Streng genommen handelt es sich dabei also nicht um weitere neue Entlastungen, aber diese Regelungen werden ungefähr zeitgleich mit den jetzt neu beschlossenen Maßnahmen in Kraft treten.
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